Ein Kommentar von Kevin Gniosdorz

Der angekündigte Rücktritt der bisherigen Parteivorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer kann zurecht als politisches Erdbeben bezeichnet werden. Folglich wird in den nächsten Tagen noch viel über den Fahrplan zur Klärung der Führungsfrage in der CDU zu sprechen sein.
Gleichermaßen darf nicht vergessen werden, dass der angekündigte Rücktritt nur ein weiterer Höhepunkt in der Causa „Thüringen-Wahl“ war. Ein Kampfbegriff, der unseren innerparteilichen Diskurs besonders prägt, lautet dabei Äquidistanz. Sprich: Darf die Linkspartei genauso behandelt werden wie die AfD? Diese Frage konnte auch gut eine Woche nach der spektakulären Wahl des FDP-Kandidaten Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten nicht einheitlich beantwortet werden. Im Gegenteil: Die Frage spaltet unsere Partei derzeit wie kaum eine andere.

Der „Sündenfall“ von Erfurt

Zunächst der Reihe nach. Am 05. Februar 2020 ging der amtierende Ministerpräsident des Freistaats Thüringen ohne Aussicht auf eine eigene Mehrheit in die Wahl zum neuen „alten“ Ministerpräsidenten. Wichtiger Hintergrund: Aufgrund einer besonderen Regelung in der Thüringer Landesverfassung bleibt der Ministerpräsident solange geschäftsführend im Amt bis ein neuer Ministerpräsident gewählt wurde. Allen Warnungen von CDU und FDP zum Trotz wagte sich Ramelow in den ersten Wahlgang, in den zweiten Wahlgang, in den dritten Wahlgang und verlor. Mit den Stimmen von CDU, FDP und eben der AfD wurde der Vorsitzende der FDP, die gerade mal mit knapp über 5% den Einzug in den Landtag schaffte, zum Ministerpräsidenten gewählt - der Skandal war perfekt. Ein hingeworfener Blumenstrauß, laute Pöbeleien während der Antrittsrede des neuen Ministerpräsidenten und diverse schrille Töne machten sich breit (vom „Sündenfall“ von ARD-Experten Martin Florack bis zur „widerlichen Scharade“ vom geschlagenen Bodo Ramelow). Doch wie konnte es überhaupt so weit kommen und wie hätten sich die Abgeordneten der CDU verhalten sollen?

Ein klassisches Dilemma

Wie bereits erwähnt muss man feststellen, dass allen voran die Linkspartei ein Scheitern Ramelows blind in Kauf genommen hat. Der bisherige Ministerpräsident hätte aufgrund des 2019 beschlossenen Doppelhaushalts als geschäftsführender Ministerpräsident mit einer intakten Landesverwaltung weiterregieren können. Obwohl rot-rot-grün faktisch abgewählt wurde, schlossen die drei Fraktionen ohne eigene Parlamentsmehrheit einen Koalitionsvertrag. War das eine Konsequenz staatsbürgerlicher Verantwortung oder gar der Versuch, einen Dammbruch oder Sündenfall zu verhindern? Wohl kaum! Die Linke, SPD und Grüne waren sich sicher, die CDU-Abgeordneten zumindest zur Enthaltung im dritten Wahlgang zwingen zu können – gegen den klaren Parteitagsbeschluss der CDU, der eine Zusammenarbeit sowohl mit Linkspartei als auch AfD verbietet. Ich halte es hier mit Jasper von Altenbockum, der in der FAZ schrieb, dass das Manöver von rot-rot-grün vor allem eines zum Zweck hatte: „Die Demütigung der Oppositionsparteien CDU und FDP, indem sie auf die Funktion des Mehrheitsbeschaffers reduziert werden“ (FAZ vom 07.02.2020).
Damit kommen wir auch zu dem klassischen Dilemma, in dem die Thüringer CDU vor der erzwungenen Ministerpräsidentenwahl steckte. Der Parteitagsbeschluss der CDU Deutschlands lautet sinngemäß wie folgt: keinerlei Zusammenarbeit mit AfD und Linkspartei. Doch was beinhaltet der Begriff „Zusammenarbeit“? Wenn man die Unschuldsvermutung zu Grunde legt und davon ausgeht – was ich persönlich voller Überzeugung tue –, dass Mike Mohring und Thomas Kemmerich nicht gemeinsam mit dem AfD-Rechtsausleger Björn Höcke einen geheimen Plan geschmiedet haben, gab es für die CDU-MdL’s genau zwei Möglichkeiten: A.) Die Wahl eines FDP-Kandidaten im Wissen, dass zumindest die Möglichkeit besteht, dass die AfD diesen Kandidaten mit wählt oder b.) die Enthaltung im dritten Wahlgang und damit – das muss auch jedem bewusst sein – die Ermöglichung einer Neuauflage von rot-rot-grün unter einem Ministerpräsidenten der Linkspartei; einer Partei, die in der Nachfolge der SED steht. Die Möglichkeiten c.) mit der Wahl eines Kandidaten aus den Reihen von SPD, Grünen, CDU oder FDP – also aus dem politischen Spektrum der Mitte – oder d.) mit der Wahl einer unabhängigen sogenannten Projektregierung schlossen die angeblichen demokratischen Saubermänner von SPD und Grünen leider von vornherein aus. Wenn man sich ehrlich macht, blieb der CDU gar keine andere Möglichkeit als auf die eine oder andere Weise gegen den Parteitagsbeschluss zu verstoßen – zumindest wenn man den Begriff „Zusammenarbeit“ eng auslegt. Zugeben möchten diesen Umstand wenige. Doch indirekt machen gerade eher linksliberale CDU’ler wie Daniel Günther und Karin Prien aus Schleswig-Holstein keinen Hehl daraus, dass sie von dem Beschluss, der AfD und Linke gleichermaßen ausschließt, herzlich wenig halten.

Die Relativierung der SED-Erben

Karin Prien, schleswig-holsteinische Bildungsministerin und eine der Wortführerinnen der inzwischen aufgelösten Union der Mitte, brachte es vor wenigen Tagen auf den Punkt: „Unser Äquidistanz-Mantra ist die Wurzel des Übels“ (Die Zeit vom 07.02.2020). Damit meint Prien die Gleichbehandlung von Linkspartei und AfD als nicht kooperationsfähige Parteien. Die Gleichsetzung eines „respektablen Ministerpräsidenten wie Bodo Ramelow mit einem Herrn Höcke“ sei eine „politische und historische Verzerrung“ (ebd.). Doch nicht die Parteitagsdelegierten, die in ihrem Beschluss die Zusammenarbeit mit Linken und AfD gleichermaßen ausschlossen, unterliegen politischen und historischen Verzerrungen, sondern Frau Prien und ihre Geistesgenossen.
Noch vor 12 Jahren scheiterte Andrea Ypsilanti in Hessen an der Regierungsbildung an dem Gewissen vier SPD-Abgeordneter, die eine Minderheitsregierung unter Tolerierung der SED-Erben nicht mittragen konnten. Doch in den kommenden Jahren fiel die Brandmauer nach links. Gerade SPD und Grüne in einzelnen Landesparlamenten arbeiteten kontinuierlich daran, die Linkspartei salonfähig zu machen. Zunächst als Mehrheitsbeschaffer, um die eigenen Pfründe abzusichern. Vor 6 Jahren kam es dann zum wahren Sündenfall: nämlich der Wahl eines Linken-Politikers zum Ministerpräsidenten mit den Stimmen von SPD und Grünen. Umso betroffener macht es mich nun, dass CDU-Politiker und gar ein Ministerpräsident mit Unionsparteibuch wie Daniel Günther die Linkspartei als Teil der demokratischen Parteien relativieren wollen. Dabei war und ist die Linkspartei kein Bündnispartner für Parteien der Mitte.
Bei Bodo Ramelow mag man schnell zu dem Irrtum gelangen, hier habe sich ein Sozialdemokrat bloß mit dem Parteibuch vertan. Der 1956 in Niedersachsen geborene Politiker habe doch gar nichts mit der SED zu tun. Dennoch hat sich Ramelow seine politische Heimat in der Partei gesucht, die mittelbar Rechtsnachfolgerin der SED ist. Die Partei Die Linke ist keine Neugründung, sondern wie der damalige Schatzmeister Karl Holluba 2009 an Eides statt versicherte rechtsidentisch mit der Partei Die Linkspartei.PDS, die seit 2005 existierte, der vorangegangenen PDS und der SED. Die Linkspartei ist keine bisschen linkere SPD, die zwar die NATO abschaffen will, täglichen Antiamerikanismus lebt, ein ungesundes Verhältnis zu Putin pflegt (wie übrigens auch die AfD) oder auch sonst Probleme mit unserer Wirtschaftsordnung hat und gerne Enteignungsphantasien ausleben möchte. Bis heute hat kein Parteitag der Linken es geschafft, die DDR als Diktatur zu verurteilen. Selbst eher gemäßigte Linke, wie der laut Karin Prien „respektable“ Bodo Ramelow, haben ein dezidiert gestörtes Verhältnis zum Unrechtsregime der DDR. Der Schießbefehl an der innerdeutschen Grenze sei nicht belegt und noch im vergangenen Jahr machte er gemeinsam mit seiner SPD-Ministerpräsidentenkollegin Manuela Schleswig Schlagzeilen als beide erklärten, die DDR sei kein Unrechtsstaat gewesen. Damit verhöhnen Ramelow und die Linke Tausende von Opfern der DDR-Diktatur und ihrer Vollstrecker: die SED.
Die Linkspartei gibt sich gerne in Sonntagsreden – paradoxerweise - als Verteidiger von Demokratie und Menschenrechten. Gleichzeitig wird das kommunistische Regime auf Kuba verherrlicht oder der autoritäre Staatschef Venezuelas, Nicolás Maduro, freundschaftlich besucht. Die Linkspartei ist eine Heimat für bekennende Kommunisten und alte SED-Kader, sie solidarisiert sich immer wieder mit gewalttätigen Krawallmachern der Antifa, hat ein ausgewiesenes Problem mit Polizei und Bundeswehr und propagiert die klassenlose Gesellschaft (die mit oder ohne Gewalt verwirklicht werden soll?). Kurzum: Die Linkspartei hat ein Problem mit unserer demokratisch-rechtsstaatlichen Grundordnung. Und einige meiner Parteikollegen begehen einen Sündenfall, wenn sie diese Partei verharmlosen.

Die Linke kann kein Partner für die CDU sein

Trotz aller Kritik an der Linkspartei möchte ich eines vorweg nehmen, was an dieser Stelle zum Schluss der Analyse überraschen mag: Ich finde Björn Höcke schlimmer als Bodo Ramelow! Höcke ist ein eigentlich versprengter Rechtsextremer, der bedauerlicherweise Fraktionsvorsitzender der zweitgrößten Fraktion in einem deutschen Landtag geworden ist. Er ist eine Witzfigur. Nur kann man nicht darüber lachen angesichts der politischen Gemengelage. Doch was heißt das nun in der Konsequenz? Muss der Parteitagsbeschluss zum Kooperationsverbot mit AfD und Linkspartei neu gedacht werden und eine Annährung zur Linken vollzogen werden? Die Antwort muss klar und deutlich nein lauten! Unabhängig davon, dass die Ideologie und tatsächliche radikale Ausprägung zwischen der Thüringer AfD und Linkspartei unterschiedlich sind und die AfD unter Höcke moralisch gesehen zu Recht als „schlimmer“ oder „schlechter“ wahrgenommen werden können, bedeutet das nicht im Umkehrschluss, dass man in der Linkspartei einen Partner für Demokraten sehen darf. In diesem Sinne kann ich Karin Prien und Daniel Günther Recht geben: Eine Äquidistanz – also der gleich große Abstand zwischen zwei Punkten – ist bei der Betrachtung von AfD und Linken nicht korrekt. Ein Partner für die CDU und auch für alle anderen Parteien des demokratischen Spektrums kann die Linke dennoch nicht sein.

Jeder Extremist ist Mist

Was hätte zusammenfassend die CDU-Fraktion in Thüringen also tun sollen und wie sollen sich die Abgeordneten in den nächsten Wahlgängen verhalten? Immerhin scharren Politiker von R2G in Thüringen bereits mit den Hufen und sehen die CDU in der Pflicht, nicht nur sich zu enthalten, sondern bereits im ersten Wahlgang Ramelow die Stimme zu geben.
Meine ehrliche Antwort: Ich weiß es nicht. Wie oben beschrieben steckt die CDU hier in einem Dilemma. Das Grundproblem liegt darin, dass dieses diffuse Wahlergebnis überhaupt zu Stande gekommen ist. Der Vertrauensverlust in die Volksparteien - auch in die CDU - ist ein Problem, das schnellstmöglich gelöst werden muss. Kommunikative Fehler im Nachgang des Wahlergebnisses kommen erschwerend hinzu. Vielleicht hätten die Thüringer CDU und die Führungsspitze in Berlin mehr Druck auf SPD und Grüne machen müssen, einen Kandidaten aus ihrer Mitte zu wählen und eine Minderheitsregierung „der Demokraten“ in Leben zu rufen. Vielleicht hätte man mehr Druck machen sollen in Richtung einer Projektregierung. Letztendlich sind nun Schadensbegrenzung und eine klare Strategie für die nächsten Wahlgänge, die vorher (!) offen und transparent kommuniziert werden muss, angesagt. Unterm Stricht bleibt eine Gewissheit, die wir uns erhalten müssen: Die Linkspartei ist ebenso wie die AfD kein Partner für Demokraten oder um es mit einem alten JU-Spruch zu sagen: Jeder Extremist ist Mist!

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